Ex lässt Immobilie zu hoch/gering schätzen

Donnerstag, 30.05.2024, geschrieben von iurFRIEND-Redaktion

Das Eigentum an einer Immobilie ist in der Ehe oft das wichtigste Kapital. Geht die Ehe zu Ende, ist zu klären, welcher Ehegatte welchen Anteil an der Immobilie hat. Je nach Interessenlage verwundert es nicht, wenn der Verkehrswert der Immobilie entweder zu hoch oder zu gering geschätzt wird. Möchten Sie ein gewichtiges Wort dabei mitbestimmen, sollten Sie wissen, anhand welcher Informationsquellen der Verkehrswert festgestellt werden kann, ob Sie den vom Ex-Gatten beauftragten Gutachter akzeptieren müssen und wann das Gericht einen Gutachter bestellt. Haben Sie Ihre Scheidung im Übrigen noch nicht beantragt, führen gerne wir Sie durch das Verfahren.

Was passiert mit Ihrer Immobilie bei der Scheidung?

Sind Sie Miteigentümer Ihrer ehelichen Immobilie, müssen Sie eine Regelung finden, was mit der Immobilie passiert, wenn ein Partner auszieht und den Miteigentumsanteil des anderen übernehmen oder Sie im gegenseitigen Einvernehmen die Immobilie verkaufen möchten. Dann müssen Sie eine gemeinsame Basis finden, um die Immobilie zu bewerten. 

 

Dabei muss zunächst außen vor bleiben, 

  • ob und inwieweit ein Partner eigenes Geld in die Immobilie investiert hat, 
  • welche Eigenleistungen beim Kauf oder der Sanierung der Immobilie erfolgt sind und 
  • welchen persönlichen Wert die Immobilie für einen der Partner möglicherweise hat (Elternhaus). 

Der dafür richtige Ansatz ist, den aktuellen Verkehrswert der Immobilie zu ermitteln. Erst wenn der Verkehrswert ermittelt ist, lässt sich verhandeln, zu welchen Konditionen der Miteigentumsanteil übernommen oder die Immobilie zum Verkauf angeboten wird. Gleiches gilt, wenn Sie über die Höhe des Zugewinnausgleichs verhandeln. Auch dann kommt es darauf an, den Verkehrswert festzustellen. Gerade bei Scheidungen ergibt oft das Problem, auf welchen Wegen der Verkehrswert zu ermitteln ist und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen.

Praxisbeispiel

100.000 EUR Unterschied im Verkehrswert

Sie sind gemeinsam Eigentümer Ihrer ehelichen Wohnung. Ihr Partner hat beim Erwerb und während Ihrer Ehe erhebliche Eigenleistungen bei der Sanierung des Objekts erbracht. Als Ihre Ehe jetzt geschieden wird, möchten Sie den Miteigentumsanteil und damit das Alleineigentum an der Immobilie erwerben. Aufgrund seiner Eigenleistungen behauptet der Partner, die Immobilie sei mindestens 300.000 € wert. Sie müssten zum Erwerb des Miteigentumsanteils also 150.000 € auf den Tisch legen. Sie hingegen sind der Auffassung, dass die Immobilie aufgrund ihrer verkehrsungünstigen Lage und des aktuell schlechten energetischen Zustandes allenfalls noch 200.000 € wert sei. Für Sie und den Partner stellt sich die Frage, wie es gelingt, einen angemessenen Kaufpreis zu bestimmen, den beide Ehegatten akzeptieren.

Welche Bedeutung hat der Verkehrswert?

Der Verkehrswert ist die Grundlage, um denjenigen Kaufpreis zu bestimmen, den Sie beim Verkauf der Immobilie auf dem freien Markt erzielen können. Auch wenn Sie oder der Ehepartner den Miteigentumsanteil des anderen übernehmen und die Immobilie künftig alleine nutzen möchten, ist der Verkehrswert ein realistischer Ansatz, auf dem Sie miteinander verhandeln können. 

 

Rein emotionale Ansätze lassen Gespräche meist scheitern. Wenn Sie beispielsweise Ihr Elternhaus auch nach der Scheidung in Ihrem Eigentum behalten möchten, sollten Sie sich vom Partner nicht erpressen lassen, wenn dieser wegen Ihrer emotionalen Verbundenheit einen überzogenen Kaufpreis für seinen Miteigentumsanteil fordert, der nicht dem Verkehrswert entspricht. Umgekehrt sollte derjenige Ehepartner, der seinen Miteigentumsanteil verkauft, keine überzogenen Forderungen stellen, da er diese auch gegenüber einem fremden Kaufinteressenten nicht würde durchsetzen können.

 

Bedenken Sie, dass sich der Verkehrswert einer Immobilie nach Angebot und Nachfrage richtet. Auch wenn Sie mit Ihrer Immobilie Erinnerungen verknüpfen und die Immobilie für Sie persönlich einen besonderen Wert darstellt, spielt dieser Wert für einen fremden Kaufinteressenten und damit für den Verkehrswert keine Rolle. Ihre Einschätzung ist rein subjektiv begründet. Letztlich ist es so, dass der Kaufpreis immer nur einen Wert darstellt, den ein potentieller Kaufinteressenten bereit ist, zu zahlen.

 

Trotzdem hat der Verkehrswert nur eine relative Deutung. So hatte bereits der Bundesgerichtshof festgestellt, dass der Preis einer Immobilie nicht ihrem Verkehrswert entsprechen muss. Er berechne sich vielmehr nach Angebot und Nachfrage. Der Verkehrswert allein spiele keine entscheidende Rolle. Er sei allenfalls Grundlage zielführender Verhandlungen. Auf Seiten von Verkäufern und Kaufinteressenten seien oft spekulative und subjektive Aspekte bedeutsam, die den nach objektiven Kriterien festgestellten Verkehrswert nach oben oder nach unten beeinflussen können (BGH, NJW 1968, 151).

Welche Faktoren bestimmen mithin den Verkehrswert?

Der Verkehrswert von Immobilien wird mithin durch eine Reihe wertbildender Faktoren bestimmt. In Betracht kommen: 

  • Optik
  • Bausubstanz
  • Unterhaltungsstau
  • Restnutzungsdauer
  • Nutzungsperspektive
  • Lage des Objekts
  • Nachfrageinteresse potentieller Interessenten

Mit welchen Informationsquellen lässt sich der Verkehrswert bestimmen?

Bevor Sie sich mit dem Gedanken tragen, von einem Sachverständigen ein teures Verkehrswertgutachten erstellen zu lassen, sollten Sie für die Bewertung Ihrer Immobilie objektive Kriterien heranziehen und eine Reihe von Informationsquellen nutzen: 

Bodenrichtwerte des Gutachterausschusses Ihrer Gemeinde

Die Bodenrichtwerte finden Sie mithin in den Geoportalen des Bundeslandes, in dem die Immobilie gelegen ist. Daraus ersehen Sie, mit welchen Quadratmeterpreisen Grundstücke bewertet werden.

Kaufpreissammlung des Gutachterausschusses Ihrer Gemeinde

In der Kaufpreissammlung sammelt der Gutachterausschuss sämtliche Verkaufsvorgänge von Immobilien in der Gemeinde. Sie wissen dann, welche Verkaufspreise in der Gemeinde beim Verkauf anderer Objekte erzielt wurden und haben Vergleichsmöglichkeiten.

Quadratmeterpreise vergleichbarer Objekte

Der Wert von Immobilien wird auch in Quadratmeterpreisen bemessen. Wenn Sie in örtlichen Zeitungen lesen, dass ein Objekt beispielsweise für 1800 € je Quadratmeter Wohnfläche angeboten wird, haben Sie eine brauchbare Vergleichsgrundlage für Ihre eigene Immobilie. Allerdings trifft der Quadratmeterpreis noch keine Aussage darüber, wie der bauliche Zustand dieses Objekts ist und welche wertbildenden Faktoren die Wertbildung beeinflussen.

EXPERTENTIPP

Einheitswert

Als Sie die Immobilie gekauft haben, haben Sie vom Finanzamt einen Einheitswertbescheid erhalten. Dieser Einheitswertbescheid ist Grundlage für den Grundsteuermessbetrag, der in Verbindung mit den Hebesätzen der Gemeinden die Grundsteuer bestimmt. Da die Einheitswerte der Immobilien auf veralteten Grundlagen beruhen, sind die Finanzämter derzeit damit beschäftigt, die Einheitswerte neu zu bestimmen. Die alten Einheitswerte sind insoweit keine geeignete Grundlage, um den Verkehrswert eines Objekts zu bestimmen. Inwieweit die neuen Einheitswerte geeignet sind, bleibt abzuwarten.

Wer kann helfen, den Verkehrswert festzustellen?

Sind die zuvor benannten Informationsquellen nicht ergiebig oder können Sie sich nicht einigen, können Sie ein Verkehrswertgutachten erstellen lassen. Dafür gibt es unterschiedliche Ansprechpartner: 

Immobilienmakler

Sie könnten sich auf einen Immobilienmakler einigen, der möglichst vor Ort tätig ist und die Marktsituation einschätzen kann. Viele Makler können auf Bestandskunden zurückgreifen, die eine bestimmte Immobilie suchen und wissen genau, was zu welchen Konditionen nachgefragt wird. Vor allem kennen Makler die Verhältnisse vor Ort. Sie wissen aus eigenen Erfahrungen, zu welchen Konditionen Immobilien angeboten und gekauft werden. Ein guter Makler wird Ihre Immobilie grundlegend besichtigen. Er wird Bodenrichtwerte und Marktberichte in seine Bewertungen einbeziehen. Das Ergebnis kann einem Sachverständigengutachten gleichkommen oder zumindest eine Grundlage bieten, auf der Sie sich mit dem Ehepartner verständigen können.

Sachverständigengutachten

Sind Sie an einer noch objektiveren Grundlage interessiert, sollten Sie ein Sachverständigengutachten erstellen lassen. Es empfiehlt sich, mindestens einen von der Architektenkammer oder Industrie- und Handelskammer öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen in Betracht ziehen. Auch Sachverständige, die sich in Immobilienbewertungen zertifiziert haben, sind mögliche Ansprechpartner. 

 

Immobilienbewertungen erfolgen bei Ein- und Zweifamilienhäusern und Wohnungseigentum nach dem Sachwertverfahren. Der Verkehrswert ergibt sich aus dem Substanzwert der Immobilie (was würde es kosten, die Immobilie heute zu bauen?) Und dem Bodenwert des Grundstücks. Dabei werden auch Lage des Objekts, Optik, Bauzustand, bauliche Qualität und Nutzungsperspektiven einbezogen. Ist das Objekt hingegen vermietet, kommt das Ertragswertverfahren zur Anwendung. Danach wird nach Maßgabe der erzielbaren Mieten die Rendite des Objekts berechnet.

 

Doch Vorsicht: Verkehrswertgutachten sind teuer. Sachverständige rechnen ihre Honorare nach Stundensätzen oder als Pauschalhonorar ab. Grundlage ist der ermittelte Verkehrswert. Rechnen Sie also mit Honoraren im unteren vierstelligen Bereich.

Muss ich den vom Ex beauftragten Gutachter akzeptieren?

Beauftragt der Ex nach eigenem Ermessen einen Gutachter, brauchen Sie dessen Gutachten nicht zu akzeptieren. Auch wenn der Gutachter allem Anschein nach zu objektiven Feststellungen verpflichtet ist, haben Sie keine Gewährleistung dafür, dass das Gutachten hundertprozentig nach objektiven Maßstäben erstellt und Ihre eigenen Interessen angemessen berücksichtigt wurden. 

 

So wäre beispielsweise ein Gutachten, das der Gutachter erstellt, ohne im Haus gewesen zu sein, keine objektiv geeignete Grundlage, den Verkehrswert der Immobilie festzustellen. Ein guter Gutachter wird die Immobilie innen und außen besichtigen und sämtliche wertbildenden Faktoren in seine Beurteilung einbeziehen.

 

Genauso gut könnten Sie selbst einen Gutachter beauftragen. Auch dann müssten Sie damit rechnen, dass der Ex Ihren Gutachter beanstandet. Da diese Vorgehensweise immer mit Risiken verbunden ist, kann ein Mittelweg darin bestehen, dass Sie sich gemeinsam auf einen bestimmten Gutachter einigen und vereinbaren, dessen Ergebnis als für beide Ehegatten verbindlich zu akzeptieren. Im ungünstigen Fall würden drei Gutachten erstellt: 

  • das Gutachten Ihres Sachverständigen, 
  • das vom Ehegatten beauftragte Gutachten 
  • und das vom Familiengericht beauftragte Gutachten. 

Sie hätten den dreifachen Kostenaufwand.

Wann bestellt das Gericht einen Gutachter?

Verhandeln Sie über das Schicksal Ihrer gemeinsamen Immobilie, besteht zunächst kein Anlass, die Gerichte einzubeziehen. Eine gerichtliche Entscheidung kommt allenfalls dann in Betracht, wenn Sie die Teilungsversteigerung der Immobilie betreiben oder über den Zugewinnausgleich bei der Scheidung verhandeln.

 

Beantragt ein Ehegatte die Teilungsversteigerung, bestellt das Versteigerungsgericht von Amts wegen einen Gutachter, der den Verkehrswert des Objekts feststellt. Nach Maßgabe dieses Verkehrswertes wird das Objekt öffentlich versteigert.

 

Streiten Sie über den Zugewinnausgleich und können sich nicht auf einen Immobilienwert einigen oder lehnt jeder Ehegatte das Privatgutachten des anderen ab, wird das Gericht im Rahmen des Verfahrens einen eigenen Sachverständigen beauftragen. Der gerichtlich bestellte Sachverständige lässt die Privatgutachten außer Betracht und ermittelt eigenständig den Wert der Immobilie. Das Gericht wird den Zugewinnausgleich nach dessen Wertermittlung bemessen. Insoweit könnten Sie sich die vorherige Beauftragung eines Privatgutachters sparen.

Welche Rolle spielt der Verkehrswert beim Zugewinnausgleich?

Beim Zugewinnausgleich wird die Differenz der Vermögenszuwächse beider Ehegatten ausgeglichen. Gehört die Immobilie beiden Ehegatten, profitieren beide gleichermaßen von einem eventuellen Vermögenszuwachs. 

 

Anders ist es, wenn Immobilie im Alleineigentum eines Ehegatten steht. Um den Zugewinnausgleich des anderen Ehegatten zu bestimmen, ist der Wert der Immobilie zum Zeitpunkt der Eheschließung (Anfangsvermögen) mit dem Wert der Immobilie bei der Scheidung (Endvermögen) zu vergleichen. Das Anfangsvermögen wird sich anhand des Kaufpreises der Immobilie bestimmen lassen. Um das Endvermögen zu bestimmen, muss der Verkehrswert festgesetzt werden. Stichtag ist der Tag, an dem der Scheidungsantrag eines Ehegatten dem anderen gerichtlich zugestellt wird.

Alles in allem

Ohne ein gewisses Maß an Kompromissbereitschaft werden Sie keine schnelle und gerechte Lösung finden. Erwarten Sie nicht, dass das Gericht Ihre wahrscheinlich teils selbst verursachten Probleme löst. Steht der Wert Ihrer Immobilie zur Debatte, führen überzogene Forderungen einerseits sowie eine unrealistische Abwehrhaltung andererseits unweigerlich zum Streit. Um den Verhandlungserfolg vorzubereiten, sollten Sie sich frühzeitig über die Gegebenheiten informieren und sich kompetent beraten lassen. Mit der richtigen Information und Beratung sollte es gelingen, Ihre Immobilie aus Sicht beider Ehegatten optimal zu bewerten. Oder um es mit einer altbekannten Metapher zu sagen: Wenn man schon sein eigen Haus mit neuen Besitzern zurück im Dorf lassen muss, sollte man es die Kirche ebenfalls.

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